Gestern hat der Europäische Gerichtshof die anlasslose Speicherung der Vorratsdaten für und damit immerhin eine vom europäischen Parlament verabschiedete Richtlinie wegen des damit verbundenen schweren Eingriffs in die Grundrechte der EU-Bürger rückwirkend für nichtig erklärt. Kurz vorher hat das Bundesverfassungsgericht die vom Deutschen Bundestag verabschiedete 3-Prozent-Hürde für die Europawahl im Mai 2014 für verfassungswidrig erklärt. Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz hat kürzlich die vom Landtag RLP beschlossene Werbung für weibliche Kandidaten als Aufdruck auf den Wahlzetteln für die Kommunalwahl als unzulässige Wählerbeeinflussung untersagt.
Nur drei Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit, bei denen die dritte Gewalt im Staate und in Europa die Bürger vor rechtswidrigen Eingriffen in die Grundrechte schützen musste. Es wäre nicht schwer, weitere Beispiele anzuführen.
Dass dieser Schutz notwendig ist, ist jedesmal eine Ohrfeige für die Politiker. Demgemäß konnte man nach jeder Entscheidung ein ritualisiertes Verhalten der geohrfeigten Politiker feststellen, die die Macht der Gerichte beschränken wollen. Gemeint ist damit allerdings die Beschränkung der Rechte der Bürger.
Dass der Schutz der Gerichte für die Bürger möglich ist, liegt an ihrer Unabhängigkeit. Gewaltenteilung ist unabdingbare Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie.
Man kann diesen Schutz auf vielfältige Art und Weise aushöhlen. Durch Einflussnahme auf die Besetzung der Richterposten zum Beispiel. Nicht immer wird dies der breiten Öffentlichkeit so bekannt, wie in Rheinland-Pfalz, wo der ehemalige Minsterpräsident Kurt Beck und sein damaliger Justizminister Jochen Hartloff Verfassungsrecht brachen, indem sie einen ihnen genehmen Richter zum Vorsitzenden des OLG bestimmten und – als ihm dies gerichtlich untersagt wurde – zwei Oberlandesgerichte in Rheinland-Pfalz fusionieren wollte; der unbequeme Richter hätte dann seinen Arbeitsplatz verloren. Hartloff ist als Staatsminister (SPD) übrigens immer noch im Amt.
Es gibt nämlich viel subtilere Arten, die dritte Gewalt im Staat auszuhöhlen. Man streicht ihr einfach die Finanzmittel für Sach- und Personalausstattung. Und das ist in vollem Gang.
Zwei Erlebnisse aus jüngster Vergangenheit haben mir das wieder bewusst gemacht.
- Vorletzte Woche saß ich in der mündlichen Verhandlung vor dem LG Köln. Die Vorsitzende entschuldigte sich mehrfach, dass sie die Verhandlung nicht so sorgfältig vorbereiten konnte, wie es das Gesetz (und ihr persönlicher Anspruch) vorsieht. Sie habe auf Grund von Personalvakanzen die Kammer von einer ausgeschiedenen Kollegin übernehmen müssen und hätte sich wegen der Vielzahl der liegen gebliebenen Fälle noch nicht einarbeiten und richterlicher Hinweise zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung erteilen können. Es ging um knapp 150.000 € in einem Verfahren, das seit mehr als einem dreiviertel Jahr anhängig war …
- Richtiggehend bestürzt hat mich aber ein Schreiben des OLG Hamm, das schon beinahe ein Hilferuf des dortigen Richters ist. Eine Berufung über mehr als 600.000 € ist dort seit Oktober 2013 anhängig. Da ich vom OLG keine Nachricht über den Fortgang der Angelegenheit erhielt, habe ich Ende März 2014 um Sachstandsnachricht gebeten. Mit dem Ergebnis, dass mir mitgeteilt wurde, dass das Verfahren derzeit und in absehbarer Zukunft wegen personeller Engpässe nicht betrieben wird.
Man sieht, der Wert der unabhängigen dritten Gewalt im Staate ist unbezahlbar.
Schützen wir sie!